Jetzt schlägt's Taiko!
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Artikel

Bericht über das "1. U.K. Taiko-Festival in Exeter"

von Oliver Boldt

Das Mail

Anfang Februar 2005 flatterte eine Mail in mein Postfach von Kordian Tetkov der Gruppe Kagemusha. Kordian ist Deutscher und lebt seit über 10 Jahren in Exeter und ist festes Kagemusha-Mitglied. Die Gruppe organisierte das erste Taiko-Festival und bot anderen Gruppen an, dort zu spielen. Das wollten wir zwar nicht, haben uns (Katja und ich) aber entschlossen, unseren Urlaub dieses Jahr in und um Exeter zu verbringen und uns das Event anzuschauen...

Where the heck is Exeter?

Exeter ist mit etwas über 100.000 Einwohnern eine der größeren Städte im Südwesten Englands und von Hamburg aus über 1000 Reisekilometer entfernt. Da wir unseren (Schlaf-)wagen mitnehmen wollten, entschieden wir uns die Autofähre Cuxhaven-Harwich zu nehmen. So konnten wir ungefähr die Hälfte der Strecke auf dem Wasser zurücklegen.

Los geht's!

Am 6. Juli fuhren wir auf die Fähre und kamen, nachdem wir uns an Bord durch das English Breakfast Buffet durchgefuttert hatten, gegen Mittag in Harwich an. Westen hieß das Ziel und die erste Etappe ist die M25 - die gigantische Umgehungsstraße um London herum, die wegen der häufigen Staus auch als Englands größter Parkplatz bezeichnet wird.

Wir überlegten gerade, die M25 zu verlassen und etwas stadtnah abzukürzen, als uns große Anzeigetafeln davon abhielten: "Avoid London City. Center closed. Turn on radio." Das machten wir dann und aus einer pathetischen Rede von Tony Blair hörten wir stückchenweise von dem Terroranschlag, der kurz vorher verübt worden war. Es regnete und die Welt schien unterzugehen.

Die Ankunft

Trotz Fahren auf der linken Seite und mehrspuriger Kreisverkehre schafften wir es, ohne Unfall in Exeter anzukommen und unser Bed & Breakfast zu beziehen, nachdem wir es zielsicher Runde für Runde eingekreist hatten. Die Temperaturen waren mittlerweile tropisch und sollten sich auch für die folgende Woche nicht mehr ändern.

Wir gingen ins Zentrum zum Guildhall Shopping Center, wo die ersten Taiko-Vorführungen laufen sollten. Das Center fanden wir - aber weit und breit kein Taiko. Weder zu sehen noch zu hören. Allerdings war über der größten Einkaufstraße ein Taiko-Festival-Banner gespannt. Das musste also das richtige Exeter sein! Leider hatte ich mir das Programm nicht ausgedruckt, sonst hätte ich gesehen, daß es in der Guildhall erst am Samstag losging. Aber abends würde das erste Konzert sein, soviel war sicher...

Die "Location"

Die Konzerte fanden im Northcott Theater statt, was glücklicherweise auch zu Fuß zu erreichen war. Das "Youth Taiko" Konzert stand auf dem Programm. Die "Schattenkrieger" von Kagemusha haben das "Taiko South-west" Projekt initiiert: Musiklehrer der Region bekamen Unterricht und gaben das Gelernte an die Schüler weiter. Das Projekt lief 18 Monate und 10 der Kinder- und Jugendgruppen sollten am Abend vorspielen. Für die "Hauptkonzerte" hatte ich vor Reiseantritt Karten vorbestellt. Die lagen im "Boxoffice" zum Abholen bereit und auf dem Weg dorthin sahen wir schon Jonathan Kirby rumflitzen, den wir von www.kagemusha.com kannten. Wir holten unsere reservierten Karten ab und wollten noch für das Youth-Concert Karten haben: Ausverkauft! Die über 100 Teilnehmer inklusive der Eltern sorgten "natürlich" dafür, das die 450 Plätze schon weg waren.

Das war wohl der richtige Zeitpunkt, Jonathan Hallo zu sagen.

Gesagt, getan. Er war "very delighted", dass zwei Taikonauten aus D sich auf den Weg gemacht haben. Und obwohl die Eröffnung des Festivals unmittelbar bevorstand, hatte er als Hauptdrahtzieher noch die Ruhe, uns zwei Plätze zu zaubern - natürlich inmitten der Taiko-Kids!

Das Youth Taiko Konzert

Wie gesagt spielten etwa 10 Gruppen mit Kindern- und Jugendlichen. Während der Anmoderation gab es noch eine Gedenkminute wegen der Terrorschläge vom Vortag. Und auch die beiden Besucher aus Hamburg wurden erwähnt. Dann ging es los: Nach einem "Sore" wurden die Arme synchron zur Trommel bewegt und der erste Schlag ertönte. Die Kids waren einheitlich angezogen, teils mit Stirnband, und spielten entweder auf "richtigen" Taikos oder auf Kunstoffröhren, die mit LKW-Plane bespannt waren (siehe auch Bilder auf der Kagemusha Website). Es hat Spaß gemacht, der Taikojugend zuzuschauen, obwohl die meisten erst kurz spielten und nur ein Stück zum Besten gaben.

Die letzte Gruppe am Abend war Kagemusha Junior Taiko, in der auch Oliver Kirby, Jonathan's Sohn, mitspielte. Die spielten gleich mehrere Stücke mit allen Raffinessen und konnten absolut begeistern. Das war wirklich professionell, was sie ablieferten. Bei dem letzen Stück, The Green Man, tanzten drei von ihnen voll kostümiert und maskiert wild um eine große Hira-daiko und schlugen mit großen baseball-artigen Sticks darauf rum und zeigten auf beeindruckende Weise, dass sie den Offbeat genauso sicher treffen wie den Beat!

Am Abend lernten wir dann auch Kordian kennen, von dem im Februar das Email kam, und andere Trommler. Die Leute waren wirklich alle ausgesprochen nett und wir fühlten uns gleich wie zu Hause.

Taiko Meantime

Die Gruppe mit dem ungewöhnlichen Namen aus dem Londoner Standteil Greenwich (aha!, gesprochen übrigens "Grännitsch") bezeichnet sich selbst als semi-professionelle Gruppe und meine Erwartung was deshalb semi-hoch. Sie gaben ein Solokonzert am Samstag Mittag und würden am Abend ein zweites Mal spielen. Deshalb hatten wir schon überlegt, das Mittagskonzert sausen zu lassen. Zum Glück gingen wir hin, denn die Truppe entpuppte sich als absolute Sensation.

Auf dem Weg zu unseren Plätzen sahen wir schon, dass vor dem Eingang eine Reihe Okedos lagen und dass Meantime das Publikum von hinten aufrollen würde. Wir waren natürlich nicht überrascht, als es dann genauso geschah, aber eine Gänsehaut und Herzklopfen waren trotzdem sofort da. Das erste Stück war zwar relativ "einfach", aber Meantime spielte mit einer Dynamik, dass man irgendwie versuchen musste, mal Luft zu holen. Und das war erst der Auftakt.

Es folgten u.a. tolle Stücke mit Miya- und Shime-Daikos und ein virtuoses Duett an einer O-Daiko in Okedo Bauweise. Am Ende bauten sie dann um für "Miyake", was man daran sehen konnte, dass die großen Miya-Daikos (zu denen alle Nagados sagten) in einer niedrigen horizontalen Position waren. Auf das Stück freute ich mich besonders, weil wir beim letzten Workshop gerade damit begonnen hatten. Auf der Bühne hatte ich Miyake bis dato ein- oder zweimal von Kodo gesehen und war bewegt und beeindruckt. Später sagte man uns, dass Miyake die Spezialität der Gruppe sei. Diesen Eindruck hatten wir auch. Hinterher brauchten wir einige Minuten, um uns aus den Sitzen zu lösen, und suchten nach Worten, um das eben Dargebotene zu beschreiben. Auf der Bühne waren 4 Paare von Trommlern, Männer und Frauen, die die großen Miyas von den Seiten traktierten. Sie standen sehr tief mit 90-Grad-Winkel im linken Knie. Beim Ausholen gingen sie so weit nach rechts, dass das Knie wieder gerade wurde und mit dem gewaltigen Schlag gingen sie wieder in die ursprüngliche Stellung. Das Arrangement war genauso großartig wie die Spieltechnik und wir waren absolut überwältigt.

Das nennen die also semi-profesionell. Zumindest im Understatement sind sie aber Vollprofis. Wir waren derart geplättet, dass wir unsere Taikos fast bei eBay verkauft und nach Hause gefahren wären.

Natürlich freuten wir uns schon wieder auf das Abendkonzert von Meantime. Diesmal waren wir aber, sagen wir mal "besser vorbereitet". Es war wieder großartig. Sie spielten kein Stück doppelt und ein Höhepunkt jagte den nächsten. Was für eine Gruppe!

Kagemusha

Für Kagemusha war das Festival ein Heimspiel, denn die Gruppe aus Exeter hatte dazu eingeladen. Es ist noch nicht lange her, dass ich Kagemusha im Internet entdeckte. Sie machten auf mich einen professionellen Eindruck und schienen einiges zu bewegen in der Region. Deshalb folgten wir auch der Einladung und machten uns auf den weiten Weg. Bei den "Schattenkämpfern" haben die Kirbys die Zügel in der Hand, allen voran Jonathan. Tochter Pippa und Ehefrau Gabriele gehören zur Gruppe und wie bereits gesagt spielt Sohn Oliver bei den Junioren. Wir erfuhren, dass Jonathan 1996/97 bei San Jose Taiko in Kalifornien Taiko gelernt hat.

Kagemusha spielten Samstag nach Taiko Meantime den zweiten Teil des Abendprogramms und eröffneten das Programm am Sonntag. Auf das erste Stück, "Over the hills" freute ich mich schon besonders, weil ich davon einen Ausschnitt aus dem Promotion-Video von www.kagemusha.com kannte. Das Stück war typisch für die Gruppe. Das Arrangement ca. 10 Minuten lang, auf der Bühne über ein Dutzend Leute und alles war in Bewegung. Einige Trommler spielten zwischen zwei Trommeln, andere gingen um die Taikos herum, reihenweise wurden die Positionen auf der Bühne gewechselt. Die Gruppe war immer in Bewegung. Der Stil ist bewegungsfreudig und visuell und nicht ganz so hart im Vergleich zu Meantime. Eine Stärke scheint in der Kreativität der Gruppe zu liegen. So stand bei fast jedem Stück als Autor "Kirby". Ihr Outfit ist mittlerweile etwas schlichter geworden. Die Taikos sind zwar weiterhin grün, aber die goldenen Pumphosen, die ich von der Website kannte, waren nicht von der Partie. Ein Kagemusha-Trommler war ganz froh darüber, nicht mehr "wie eine orientalische Tempelwache" rumzulaufen.

Der Hang zur Perfektion machte sich auch in den Pausen bemerkbar. Der Applaus nach dem letzten Schlag war noch nicht verklungen, da wurde die Bühne für das folgende Stück umgebaut. Im Halbdunkel zur Musik vom Band wurden dann die Trommeln geschoben. Und zwar synchron und in einer Art Zeitlupe. Wenn jemand eine Trommel positioniert hatte, ging er nicht von der Bühne, sondern wartete bis die anderen Taikos auch standen und anschließend verließen sie im Gleichschritt die Bühne.

Die beiden Konzerte waren wirklich professionell und das Publikum begeistert.

Joji Hirota and The Taiko Drummers

Joji kannte ich nur vom Namen und hatte ihn eher als Perkussionisten abgespeichert. So wusste ich nicht recht, was da kommen würde. Mit im Gepäck hatte er "The Taiko Drummers": 4 Japaner(-innen) und einen Franzosen. Nach dem zweiten Takt war klar, es würde ein würdiger Ausklang des Festivals werden. Ein Lächeln stellte sich in meinem Gesicht ein, das bis zum Ende nicht mehr verschwand.

Den Trommlern machte das Spielen offensichtlich viel Spaß und das übertrug sich auf das Publikum. Beispiel Don-dokos: Die wurden virtuos schnell gespielt. Als das Stück immer schneller wurde, fingen die Trommler dann an, lächelnd nach rechts und links zu schielen, um zu sehen, wann es den ersten "zerlegt" bzw. wann der erste Stock fliegt. Das schien niemanden zu kümmern, zumal jeder einen kleinen Mikado-Haufen an Ersatzstöcken zu seinen bzw. ihren Füßen liegen hatte, und eigentlich nur aufpassen musste nicht draufzutreten und die Sause zu machen. Und, siehe da: Da standen sogar Wasserflaschen! Die waren in den perfekten Bühnenbildern bisher nicht denkbar gewesen wären. Der Ton machte hier die Musik und "Taiko-Faxen" wie Sore-Rufe und große Bewegungen sah und hörte man hier nicht. Das fand ich extrem sympathisch, denn nach soviel Taiko an dem Wochenende gingen mir einige Taiko-Elemente etwas auf die Nerven.

Unbedingt zu erwähnen ist noch das Solo von Kumiko Susuki (?). Sie spielte frontal gegen eine schräggestellte Miya-Daiko. Es war ein beswingtes, bewegungsfreudige Stück, das mit allerlei Kunststücken gespickt war: Trommeln links/Jonglieren rechts, Trommeln rechts/Jonglieren links, viele "Klacks" durch Stock-an-Stock oder der linke Stock wurde waagerecht hochgehalten und mit rechts schlug sie dann Don-kak-don-kak. Das Stück wurde immer virtuoser und sie spielte anmutig und mit einer fröhlichen Austrahlung. Es gab Szenenapplaus, denn das Publikum konnte nicht mehr bis zum Ende des Stückes warten.

"The Taiko Drummers" standen in der ersten Reihe, während sich der Meister dahinter aufhielt. Vor seinen Musikern stand Joji nur, wenn er ein Stück anmoderierte oder Flöte spielte. Die Stücke waren eher groovig und dramatische Arrangements hätten hier eher den musikalischen Fluss gestört. Joji spielte immer wieder Soloeinlagen über den Groove. Er stand hinter einem kleinen Drumset aus u.a. Shime- und Miya-Daiko, Becken und weiteren kleineren Trommeln. Als ich mich gerade fragte, warum er immer zwischen die Trommeln haute, entdeckte ich da auch noch einen kleinen Gong... Zweimal gab er ein sehr schönes und elegantes Solo auf der O-Daiko zum Besten. Sein Gesicht würde ich als schwer zu interpretierendes Pokerface beschreiben. Dieses war aber nicht stark genug den Grinsattacken der Taiko-Drummer standzuhalten, wenn mal wieder die Geschwindigkeit virtuos schnell wurde, und er ließ sich dann von der Band anstecken.

Beim Schreiben dieser Zeilen stellt sich schon wieder dieses Lächeln ein ... wie gesagt, es war ein würdiger Abschluss!

Was sonst noch lief

Am Samstag und Sonntag gab es noch tagsüber Taiko-Vorführungen im Guildhall-Shopping-Center im Zentrum von Exeter. Dort spielten hauptsächlich Tano Taiko, die auch zum Umfeld von Kagemusha gehören. Um den Verkaufsbetrieb nicht zu stören, mussten allerdings viele Pausen eingebaut werden. Tano Taiko waren dort unermüdlich im Einsatz. Kleine "Have-a-Go" Workshops wurden angeboten und sie wiesen u.a. auf die Abendkonzerte hin. Mit Erfolg: eine kleine Umfrage während der Anmoderation abends ergab, dass viele Besucher das Programm in der Guildhall gesehen hatten und mehr sehen wollten.

Neben den tollen Konzerten waren die netten Kontakte das Highlight für uns. Wir lernten sehr schnell einige der Trommler von Kagemusha und Tano Taiko kennen und man war sehr freundlich und offen. Das war wirklich auffallend und wir fühlten uns schnell wie zu Hause. Das mag vielleicht der Grund sein, weshalb ich auf den Postkarten das "Germany" vergessen hatte...

Bei diesem Festival standen die Konzerte im Mittelpunkt. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass sich noch mehr Gruppen auf den Weg machen und es so einen stärkeren Austausch zwischen den aktiven Trommlern gibt.

Kagemusha hat mit dem Taiko-Festival einen großartigen Start hingelegt und so schrieben wir ins Gästebuch: "Travelling to Exeter was worth every mile and every kilometer". Wir hoffen, dass wir auch im nächsten Jahr wieder dabei sein können.

Internet

http://www.taikofestival.org.uk/

http://www.kagemusha.com/

Bilder

Exeter Zentrum 1

"Das richtige Exeter"

Die Kathedrale

Schülergruppe im Guildhall Shopping Center

Tano Taiko