Jetzt schlägt's Taiko!
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Artikel

Miyake-Taiko

Inhalt:

  1. Über Miyake
  2. Das Trainingscamp
  3. Interview mit Akio Tsumura

M I Y A K E

Im Westen ist wohl jedem Taiko-Trommler "Miyake" zunächst einmal als Taikostück bekannt. Benannt ist es nach der Miyake-Insel ("Miyake-Jima"), die 180km vor Tokio liegt. Der formelle Name des Trommelstücks bzw. -stils ist "Miyake-jima Kamitsuki Mikoshi Daiko".

Die Insel ist nur etwa 55qkm groß und hatte etwa 3000 Einwohner, als sie im Jahre 2000 wegen des Vulkanausbruchs des "Oyamas" komplett evakuiert werden musste. Erst im Jahre 2005 konnten die ersten Einwohner wieder zurückkehren. Da der Vulkan nach der Eruption aber weiterhin Schwefelgas freisetzt, müssen die Einwohner Atemmasken tragen und für den Tourismus ist die Insel gesperrt.

Der Trainingscampleiter Akio Tsumura und seine Söhne sind auf Miyake geboren. Gleiches galt für weitere Teilnehmer, die wir beim Camp kennenlernten. Aufgrund der schwierigen Umstände auf Miyake sind viele Inselbewohner noch nicht wieder zurückgekehrt. Recherchen haben ergeben, dass das jährliche Miyake-Festival im Jahre 2009 nach 10-jähriger Pause zum ersten Mal wieder stattgefunden hat.

"Miyake-Jima Geino Doushi-Kai" ist die Organisation, die von Akio Tsumura gegründet wurde, um "Miyake-Taiko" zu fördern und zu pflegen.

Für weitere Informationen siehe bitte http://www.miyaketaiko.com/en/

*** Die Gruppe nennt das Stück selbst Miyake "Taiko" und nicht "Daiko".

T R A I N I N G S C A M P

Anreise

Das Trainingscamp fand vom 11. bis 12. Oktober 2009 in Nagano (Zentral-Japan) statt. Für uns waren Zeit und Ort ein großes Glück, weil wir vom 9.-10. Oktober beim Herbstfestival in Takayama waren und uns "nur" ca. 3 Stunden Bus- und eine Stunde Zugfahrt von Nagano trennten. Gegen 11 Uhr kamen wir am Bahnhof an und riefen unsere Kontaktperson an, die englisch sprechen können sollte. Das funktionierte zwar nicht wirklich, aber da wir erwartet wurden, konnten wir zumindestens mitteilen, dass wir jetzt am Bahnhof sind. 10min später wurden wir aufgelesen - als einzige Ausländer weit und breit waren wir leicht zu erkennen. Weitere Teilnehmer kamen hinzu und dann ging es los. Die erste Station, wir waren gerade losgegangen, war allerdings ein Restaurant, wo für knapp 20 Personen Soba-Nudeln vorbestellt waren. Dort warteten schon Akio Tsumura mit zwei Söhnen und weitere Personen auf uns. Beim Essen lernten wir auch Hannah kennen, die zweisprachig aufgewachsen war und ihre Hilfe beim Übersetzen anbot. Gebracht wurde sie von ihren Eltern, die uns alles Gute für die beiden Miyake-Tage wünschten - ihre Tochter konnte nach ihrer ersten Camp-Teilnahme nicht mehr laufen. Ich wurde mit Blick auf die Uhr etwas unruhig, schließlich wollte ich trommeln. Aber die Nudeln waren schnell verzehrt und dann fuhren wir mit mehreren PKWs und Minibussen los. Es folgte eine kurvenreiche Fahrt die Berge hinauf. Sie endete an einer großen Sporthalle - eine Spielstätte der Winterolympiade 1998. Am Eingang standen drei Riesentüten mit kaputten Bachis - man war wohl regelmäßig hier.

Es geht los

Fünf Miya-Daikos wurden ausgeladen und samt Ständern der Halle positioniert (wie die 5 Olympischen Ringe). Nach dem Umziehen begannen sich die Teilnehmer individuell aufzuwärmen. Kazuhiro Tsumura, der älteste Sohn, leitete dann eine Reihe von Dehnungsübungen an. Dann bekamen wir unsere Bachis, die von Größe und Gewicht so waren, wie wir es gewohnt sind. Die Tsumuras spielten mit anderen Bachis: sie waren auch ca. 50cm lang, aber dünner und leichter. Die Bachis hatte eine Form, die ich noch nie gesahen hatte. In der Mitte dünner als außen, also ein bisschen wie ein Knochen.

Alle Teilnehmer - außer uns - waren feste Schüler und trainierten regelmäßig Miyake. Trotzdem wurden alle elementaren Dinge kurz erklärt. Mit der Bachi-Haltung fing es an: gehalten werden sie prinzipiell locker mit Daumen und Zeigefinger. Die anderen drei Finger sind unterstützend tätig und können durch Zugriff den Schlag verstärken. Da wir die Bachis genauso halten, fing der Workshops schon mal gut an für uns. Auch das sogn. "Miyake-Pattern" wurde für alle gezeigt. Rhythmus und Handsatz entsprachen dem, was wir gelernt hatten. Aber die Bewegungen waren anders. Jeder Schlag begann und endete woanders - für uns eine echte Herausforderung.

Auch der Ji-Uchi (Grundrhythmus) wurde gezeigt. Sie spielen ihn nicht auf Knien sondern im tiefen Stand. Vor dieser Version sind wir schon mal gewarnt worden! Der tiefe Stand funktionierte gut, aber der Sensei war mit meinen Schlägen unzufrieden. Ich verstand leider nicht, was ich falsch machte. Als ich spielte umgriff er meine Hand und führte dann den Schlag aus. Das half: das Handgelenk muss locker sein und der Bachi wird "Hand voran" hinterhergezogen. Im letzten Moment greift man zu und der Bachi schleudert nach vorne und trifft die Trommel. In dem Moment wurde klar, dass das bei einem senkrechten Schlag ja genauso ist... Es folgten noch weitere Techniken und Tipps, auch speziell für die linke Hand. Zwar verstanden wir nicht, was gesagt wurde, aber die Vorführungen halfen uns. An einigen Stellen, wenn etwas Falsches ("so nicht") gezeigt wurde, mussten wir hingegen sehr aufpassen, ob gerade das Richtige oder Falsche dran ist.

Parcour

Die 25 Teilnehmer wurden auf die 5 Trommeln verteilt, also etwa 2-3 Personen "pro Fell". Dann begann der Parcour: Ji-Uchi auf der 1. Miya, Wechsel, Pattern auf der 1. Miya, Wechsel, Ji-Uchi auf der 2. Miya usw. Eine Station hatte die Länge von 3, 4 oder 5 Pattern. Das wechselte häufiger und zu unserer Verblüffung wussten alle außer uns was zu tun war. Neu für uns waren die Wechsel. Bei unserer Miyake-Version wechselt man zwar zwischen Begleitung, Pattern und Solo aber nicht die Trommel. Beim Ji-Uchi geht der Wechsel so: der "neue" Trommler nähert sich von vorne in Richtung Trommelfell und spielt den Grundrhythmus parallel mit, wobei der "alte" Trommler ihm möglichst viel Raum gibt und dann nach hinten weggeht. Das funktioniert hauptsächlich durch den tiefen Stand. Auf Knien würde der alte Trommler nicht so gut wegkommen. Beim Pattern nähert sich der neue Trommler von hinten in Richtung Trommelfell. Zum letzten Pattern-Schlag dreht sich der Trommler Richtung Trommelfell, landet auf dem rechten Knie und führt zeitgleich den Schlag aus. Dann spielt er vom Schlussteil "doko kodon don (lr l r r)" und dreht sich nach hinten weg. Der neue Trommler geht in die Lücke und spielt den Teil zu Ende "do koko ko don don (l rr l r r)" und dann seine Pattern. Die Ji-Uchi Spieler haben dabei immer eine Pattern-Länge früher gewechselt, es wechselten also nie alle Trommler gleichzeitig.

Dieser Parcour wurde dann relativ lange und ohne Pause durchspielt. Kleinere Pausen ergaben sich durch den Parcour selbst. Nach einmal Ji-Uchi stellte man sich auf der Pattern-Seite an und warte auf den nächsten Wechsel. Mit "einmal spielen einmal warten" waren wir aber ausreichend beschäftigt. So ging es durch die Stationen 1 bis 5. An drei Trommeln standen die Lehrer und gaben Tips. Akio Tsumura spielte häufig spiegelverkehrt mit und man hatte die Chance so die eigenen Bewegungen anzupassen. Auf der Station 5 wurde ein Video gedreht. Wie gesagt wurde der Parcour über längere Zeit durchspielt. Dann unterbrach der Sensei irgendwann, um etwas zu erklären oder zu verbessern. Zu dem Thema gab es dann Übungen, und jeder hatte Gelegenheit, sie an der Trommel umzusetzen. Anschließend wurde der Parcour wieder gestartet. So spielten wir bis zum Abendessen etwa 5 Stunden Miyake.

Am Anfang schien es so, als hätten wir innerhalb der Gruppe eine Art Sonderrolle. Wir hielten uns in der Nähe von Hannah auf, die etwas für uns dolmetschte. Der Lehrer gab dann immer noch einige Extra-Erklärungen in unsere Richtung ab. Durch den Parcour wurden wir aber getrennt, spielten also nicht mehr an der selben Trommel, und damit fielen auch Übersetzungen und Sonderrolle weg. Letzteres war uns auch nur recht.

Teilnehmer

Die Teilnehmer waren geschätzt etwa 5 bis 70 Jahre alt - was für eine Spanne! Aus deutscher Sicht klingt das vielleicht nach einer gemütlichen Familienveranstaltung mit Kindergeschrei, Kaffee und Kuchen - nicht so hier: die beiden Jungs (ca. 5 Jahre) spielten die gesamte Zeit ohne zu Murren mit. Ein ca. 9-jähriges Mädchen - sie war mit ihrer ganzen Familie da - hatte zwar noch nicht die Schlagkraft, aber die komplexen Miyake-Bewegungen hatte sie drauf. Ein Vergnügen zuzusehen. Ein ca. 13-jähriger Junge - er spielte im Parcour eine zeitlang vor mir - konnte die Bewegungen noch etwas besser und hatte eine Schlagkraft und Lautstärke, an die ich nicht annähernd herankam. Überboten wurde das nur noch von seinem Vater. Ohne Gummifüsse hätte er die Trommeln wohl durch den Raum geschlagen. Dabei sei noch hinzugefügt, dass nicht einfach "geprügelt" wurde, sondern es immer musikalisch war und trotz Lautstärke alles noch weich und im Fluss war. Dann sei noch der älteste Teilnehmer erwähnt, wir haben ihn auf 70 Jahre geschätzt, der den rechten Unterarm im Gips hatte und alles mitspielte - nur halt mit links. Beim Ji-Uchi spielte er nur den swingigen Ko-Schlag und beim Pattern alle linken Schläge. Den rechten Arm ließ er einfach hängen. Das muss man mal selbst gesehen haben...

Der Abend

Mit den Fahrzeugen ging es dann auf einer recht kurzen Fahrt zu Unterkunft und Abendessen in ein anderes Gebäude der Winterolympiade. Für die Teilnehmer gab es zwei große Räume mit Tatami-Matten und Futons. Die Räume waren nach Männern und Frauen getrennt. Als wir unsere "Betten" gemacht hatten, lag ein Futon lag neben dem andern. Die Unterkunft war so eine Art Jugendherberge, wo die Teilnehmer möglicht viel selbstmachen. Von dem Gruppenwesen der Japaner hatten wir schon Einiges gehört und bei der Essensverteilung u.ä. lief alles "wie am Schnürchen".

Nach dem Essen sollte es eine "Session" geben, hatten wir verstanden. Die Trommeln waren dabei und wurden in eine Halle auf dem Gelände gebracht: Für die "Session" nahm ich meine kleinen neuen Bachis von Miyamoto mit. Die "Session" war dann 90 Minuten Miyake ohne größere Pause. Hidori, den zweitältestesten Tsumura Sohn, hatten wir bis dahin noch nicht selbst spielen gesehen. Beim Parcour war er mit dem Coaching beschäftigt. Er wirkte am Ruhigsten von den Lehrern und sein freundliches Dauergrinsen passte gut zu seinem fröhlichen Haarschnitt und den rot gefärbten Haaren. 10min vor Ende zog er dann seine Trainingshose aus und spielte im Parcour mit. Das war dann Miyake in Perfektion: in sehr tiefen Stand mit weiten seitlichen Beinbewegungen flog er über den Boden und schlug die Taiko in Vollendung - mit einem Lächeln auf den Lippen.

Nach der "Session" folgte der wohl obligatorische Besuch des Onsens. Dann ging es zur "Party". Es gab reichlich Bier, Knabberkram und mehrere riesige Sake-Flaschen - nach dem Tag genau das Richtige. Der Chef hatte seinen Videorecorder mitgebracht. Wir durften zwar während des Trommelns nichts filmen, aber ein Teilnehmer war wohl der offizielle Fotograf. Seine Kamera konnte die Fotos als Diashow mit Musikuntermalung zeigen - unglaublich den Tag so bei einem Glas Sake nochmal nachwirken zu lassen. Anschließend zeigte uns der Chef die Videos von unseren Miyake-Pattern. Jeder kam dran, wurde zu ihm gerufen und dann gab es Einzelbildanalysen und Verbesserungstipps. Tradition meets Hightech... Und dann folgte ein Video von dem traditionellen Fest auf Miyake.

Das Festival

Natürlich hatte wir nach unseren Taiko-Jahren ein gewisses Bild von einem Matsuri und kamen gerade von dem berühmten Takayama-Festival. Von dem Miyake-Fest wussten wir praktisch nichts und kannten auch keine Bilder oder jemanden, der schon mal vor Ort war. Wegen des Vulkanausbruchs und der Evakuierung Miyakes (2000 bis 2005) hatte das Fest auch jahrelang nicht stattgefunden. Wir waren gespannt ohne Ende, als der Film begann.

Ein Schrein auf einem massiven Lattenkreuz wurden von vielen Männern in Festivalkleidung getragen. Aber nicht so andächtig und ruhig wie wir es schon gesehen hatten. Die Männer fingen an, den Schrein zu schaukeln, so als würde er auf dem Wasser bei starken Wellen tanzen. Das Schaukeln wurde größer, schneller und unkontrollierter. Die Männer auf der einen Seite konnten den Schwung nicht abfedern und gingen in die Knie - um dann sofort wieder aufzustehen und weiterzumachen.

Dann sahen wir die Trommler. Viele Personen, wohl fast nur Männer, standen um eine einzige Trommel. Zwei Trommler spielten immer gleichzeitig Ji-Uchi gegen Pattern. Es gab keine Bühne, alles war ebenerdig. Das Pattern wurde ohne Pause unter ständigem Wechsel der Trommler geschlagen, genauso wie wir es am Tage gemacht hatten. Ein Solo haben wir nicht einmal gesehen. Wenn man diesem Rhythmus eine zeitlang zusieht und zuhört stellt sich aber keine Langeweile ein sondern eher ein rauschartiger Zustand. Unter den Trommlern waren auch unsere Lehrer und einige der anwesenden Teilnehmer, was eine Art Wirkung hatte, als sei man auf dem Fest und nicht vor einem Fernseher. Wir waren hellwach. Dann wurden die Pattern immer schneller geschlagen und dann noch schneller und wieder schneller. Plötzlich mit einem einzigen Beat reduzierte sich die Geschwindigkeit auf ein absolutes Minimum und die Lautstärke ging runter. Eine Shime wurde reingetragen und ein Trommler spielte eine Art "Break" auf Shime und Miya. Dann wiederholte er es und das Lied Kiyari wurde eingestimmt. Es gab einen Vorsänger und die Gruppe anwortete. Dann begann wieder das Pattern, wurde lauter und schneller. Einige Passagen wurden durch "Uta uta uta" Rufe unterstützt. Mit der Zeit wurde der Rhythmus wieder schneller und brach dann irgendwann zusammen - denn wieder Gasang und eine neue Runde begann. Es war ein rauschendes Fest.

Für Katja und mich stand sofort fest: diese Bilder passten eigentlich eher nach Afrika als nach Japan und dachten beide daran, wie viele Parallelen es z.B. mit den Burundi-Trommler gibt. Das war dann auch der krönende Abschluss eines unglaublichen Tages und zufrieden, erschöpft und beschwipst ließen wir und ins Bett (bzw. auf die Futons) fallen - in verschiedenen Räumen natürlich...

Der zweite Tag

Mit einem Ganzkörper-Muskelkater schlurfte ich in den Hauspantoffeln (2-3 Nummern zu klein) zum Frühstück. Eine Teilnehmerin erzählte Katja, dass sie schon mal in Deutschland war und in einem Kindergarten einen Taikokurs für Erzieher gegeben hat. Nachdem eine gewisse Schüchternheit überwunden wurde, trauten sich auch Einige etwas Englisch zu sprechen. Dann fuhren wir wieder in die Sporthalle und der Trommeltag begann mit gemeinsamen Laufen und Dehnen.

Am Abend vorher hatte ich auf dem Festivalvideo schon gesehen, dass es wohl für das Miyake-Pattern noch einen zweiten Abschluss gab. Der wurde uns jetzt gezeigt. Etwas später folgte auch das Shime-Intro. Diesen Rhythmus hatte ich vorher schon einmal gesehen und gehört, war mir aber nicht sicher, ob er traditionell war. Die Shime wurde von einem zweiten Trommler auf der Miya-Daiko schräg aufgestellt und festgehalten, und nach dem Intro runtergenommen. Der Rhythmus ist relativ lang und anfangs nicht ganz leicht zu merken. In Silbensprache exerzierten wir ihn mehrmals durch. Irgendwann viel denn der Groschen als ich merkte, dass das Intro fast nur aus dem alten und neuen Patternabschluss in zerlegter Form bestand.

Nach einer kleinen Pause gingen wir draußen auf einen Vorplatz. Auf dem Schotter flüchteten große grüne Insekten vor uns - Gottesanbeterinnen! Die kannte ich bis dato nur aus Fernsehen und Zoo und hatten sie in Japan nicht erwartet. Ich wollte schnell ein Tier retten und nahm es in die Hand. Ängstlich krallte sie sich an meiner Hand fest und zwar so stark, dass ich mich fragte, ob das gerade eine gute Idee war. Aber im sicheren Bereich lies sich das Tier absetzen.

Auf dem Platz gab es eine Grüppchenbildung nach Ort. Es gab eine Nagano-Gruppe, eine Nagoya-Gruppe usw. Diese Ortsuntergruppen hatten wir vorher nicht bemerkt. Wir kamen in die Gruppe "Sonstige". Dann wurde gesungen. Der älteste Tsumura-Sohn sang "Kiyari" vor und zerlegte es nochmal in Einzelteile zum Lernen. Für uns ging diese "Wiederholung" zu schnell, denn wir haben Kiyari noch nie gesungen und kannten es nur aus dem Konzert.

Zurück in der Halle lernten wir dann alle Teile, also Pattern, Shime-Intro und Gesang/Gruppen-Rufe als Arrangement zu spielen - also genauso wie wir es im Film gesehen hatten. Das forderte nochmal die gesamte Konzentration und der Workshop schloss mit einer 30-minütigen Pattern-Runde.

Zur Verabschiedung übereichten wir Akio Tsumura noch unser Omiyage-Mitbringsel: ein kleines Päckchen mit Hamburger Buddelschiff und bedankten uns für die Teilnahme. Als Antwort redete er mit uns, als könnten wir japanisch verstehen und erstaunlicherweise taten wir das auch - zumindestens seine Körpersprache und insbesonders die Hände: wir verstanden, dass unser Miyake ja schon mal garnicht so schlecht war, und sogar richtig gut werden könnte, wenn wir am Ball bleiben und üben.

Müde aber zufrieden erreichten wir mit dem Auto von Hannahs Eltern wieder Nagano-Zentrum, um dann noch ein Miniabenteuer bestehen zu müssen: wir hatten keine Ahnung wo wir die Nacht verbringen würden, um dann am nächsten morgen nach Sado weiterzureisen.

I N T E R V I E W

Interview mit Akio Tsumura, Miyake-Jima Geino Doushi-Kai

Während unseres "Training Camps" am 10. und 11. Oktober 2009 in Nagano/Japan nutzten wir die Gunst der Stunde, den Leiter der Gruppe - Akio Tsumura - zu interviewen. Als Übersetzerin hatten wir eine Workshop-Teilnehmerin (Danke Hannah!), die zweisprachig (eng./jap.) aufgewachsen war. Mit ihrer Hilfe bekamen wir klare Antworten auf klare Fragen. Das Interview führten Katja Nill und Oliver Boldt. Da wir die Antworten nicht wortwörtlich mitgeschrieben haben, ist folgendes Interview als Gesprächsnotiz zu lesen:

[Anm.: Zunächst bedankten wir uns bei Akio Tsumura, für seine Bereitschaft uns die Workshop-Teilnahme und dieses Interview zu ermöglichen.]

Ist Miyake das Lied der Fischer?

Nein, es ist Lied der Einwohner von Miyake Jima und drückt deren Unabhängigkeit aus. Es ist nicht an eine Berufsgruppe wie z.B. Fischer gebunden. [Anm.: Das bedeutet natürlich nicht, dass Fischer es nicht spielen. Zum Thema Unabhängigkeit haben wir nicht weiter nachgefragt.]

Hat die Bewegung eine Bedeutung?

Die Form von Akio Tsumura hat keine visuelle Bedeutung. Es ist lediglich eine festgelegte Form die er entwickelt hat.

Wird Miyake nur einmal im Jahr gespielt oder auch mal "nach der Arbeit"?

Miyake wird nur einem pro Jahr bei einem traditionellen Fest gespielt aber über das Jahr hinweg geübt.

Gibt es einen Bezug zu Hachi Jo Daiko?

Die Stücke Miyake und Hachi Jo Daiko sind nicht verwandt. Miyake hat aber einen Bezug zum Gion-Matsuri in Kyoto, welches als Inspiration für Taiko und Festival auf Miyake gedient hat.

Gibt es verschiedene Miyake Stile?

Ja, auf der Insel haben unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Bewegungsformen entwickelt ("Shapes"). Es gibt also kein "richtig" oder "falsch". Der Rhythmus ist aber immer gleich.

Wie steht er zu Tradition vs. Auftrittsgruppen, die Miyake auf die Bühne bringen?

Wer Miyake Daiko lernen möchte, sollte es direkt bei den Trommlern von Miyake Jima lernen und nicht z.B. von einem Kodo-Video. Wenn eine Form ("Shape") von Miyake Daiko einmal beherrscht wird, ist es auch in Ordnung eine eigene Form zu entwickeln. Allerdings sollte diese Version dann auch unter dem Namen Miyake gespielt werden, damit der Bezug zur Insel nicht verlorengeht.

Wie lange dauert ein (Bühnen-)Auftritt seiner Gruppe, wenn ausschließlich Miyake aufgeführt wird?

[Anm. Die Frage ergab sich daraus, dass wir im Terminkalender der Gruppe auch Auftrittstermine in z.B. Tokyo gesehen haben.]

Bei den o.g. Auftritten spielt seine Gruppe etwa 15-20 Minuten. Beim tradionellen Matsuri auf Miyake Jima (welches laut der Website von 11 bis 20 Uhr andauert), spielt seine Gruppe hingegen für etwa 2-4 Stunden.

Ist Miyake ein Stück oder ein Stil?

Es ist sowohl ein Stück als auch ein Taikostil.

Wird der Grundrhythmus ("Ji Uchi") tief stehend oder sitzend geschlagen?

Er wird immer im tiefen Stand geschlagen, und, wenn die Kräfte irgendwann ausgehen, auch in anderen Positionen. Die bekannte kniende Variante stammt von Kodo.

Wird für Miyake (pro Gruppe) lediglich eine einzige Trommel benutzt?

[Anm. Am Vorabend wurde uns ein Video von dem trad. Miyake-Matsuri gezeigt, bei dem viele Trommler bei einem ständigen Wechsel nur eine Taiko schlugen.]

Ja, beim traditionellen Fest gibt es nur eine einzige Trommel. Bei Auftritten werden manchmal auch 3 Taikos eingesetzt.

Gibt es einen Bezug zu Kodo - die Bewegungsstile haben einige Ähnlichkeit?

Ja, Kodo hat Miyake Daiko bei Akio Tsumura auf Miyake Jima gelernt - daher die Ähnlichkeiten. Anschließend haben sie ihre eigene Version erarbeitet.

Spielt seine Gruppe ausschießlich Miyake oder auch mal z.B. Okedo oder O-Daiko?

[Anm. Auf o.g. Video waren im Hintergrund auch andere (ungespielte) Taikos zu sehen.]

"Hai "- ja, ausschließlich Miyake! (Die Antwort kam schon bevor wir mit dem Satz fertig waren.)

Wie ist es bei seinen Schülern - lernen die andere Taikostile in anderen Schulen?

Nein - Schülern von Miyake Taiko ist es nicht gestattet, parallel andere Stile zu lernen.

[Nachtrag: Am Ende bedankten wir uns nochmals für seine Zeit.]

Für weitere Informationen siehe bitte http://www.miyaketaiko.com/en/

*** Die Gruppe nennt das Stück selbst Miyake "Taiko" und nicht "Daiko".